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Merkblatt

Prosopagnosie oder das Problem Gesichter wieder zu erkennen

Stellen sie sich folgende Situation vor: Sie sind zum chinesischen Bankett eingeladen. Ihre Gastgeber sind Herr Li, Herr Wang und Herr Peng. Nach einem sehr unterhaltsamen Abend und viel Zeit für einen intensiven Gedankenaustausch treffen Sie am nächsten Tag einen Ihrer Gastgeber wieder. Es ist Ihnen plötzlich sehr peinlich, dass Sie nicht gleich herausfinden, wer von Ihren Gesprächspartnern nun vor Ihnen steht. Irgendwie kennt jeder diese Situation. Wenn Ihnen das gleiche aber nun regelmäßig mit Ihrer eigenen Familie oder nahen Freunden passiert, dann sollten sie weiter lesen.

Dies sollte Sie nicht in Unruhe versetzen, sondern eher neugierig machen. Auch Sie erkennen Ihre Mitmenschen, nur verwenden Sie dabei eher Merkmale, die nichts mit dem Gesicht zu tun haben. Dies wird auch als Gesichtsblindheit bezeichnet. Ein nicht ganz zutreffender Begriff. Das Problem liegt darin Gesichter wieder zu erkennen bzw. sich daran zu erinnern, während das Gesichts selbst detailliert wahrgenommen und beschrieben werden kann. Bodamer hat 1947 den Begriff Prosopagnosie aus den griechischen Wörtern prosopon (πρόσωπον) für Gesicht und agnosia (αγνωσία) für Nichtwissen, Nichterkennen gebildet.

Es gibt mehrere Formen der Prosopagnosie

  • Am bekanntesten ist die erworbene Form nach Schädel-Hirn-Verletzungen, durch Infarkt oder Entzündung (Enzephalitis). Wenn dies zum plötzlichen Ausfall einer bis dahin intakten Gesichtserkennung führt, wird das natürlich sofort bemerkt.

  • Nicht so ist es mit der angeborenen Form (oder kongenitalen Form). Hier wird die Fähigkeit, Personen am Gesicht allein wieder zu erkennen, erst gar nicht erlernt. Ähnlich wie Farbenblinde z.B. erst beim Pflücken grüner Erdbeeren auffallen, bleiben "Gesichtsblinde" oft unerkannt. Viele wissen zwar, dass sie ein "Problem" haben, können aber mangels Erklärung für dieses Phänomen nicht vernünftig reagieren, wenn ihnen z.B. Zerstreutheit oder Desinteresse vorgeworfen wird. Insofern kann durchaus ein Leidensdruck entstehen.

  • Wir konnten zeigen, dass diese angeborene Form erblich ist. Sucht man in der Familie eines Betroffenen so findet man in direkter Linie weitere mit diesem Defizit. Wir haben deshalb die angeborene Form auch als erbliche oder hereditäre Prosopagnosie bezeichnet. Interessant ist, dass betroffene Familienmitglieder untereinander fast nie von ihrem jeweiligen Problem wussten.

  • Inwieweit die Prosopagnosie Teil einer umfassenden Erkrankung sein kann, ist noch offen. Hinweise haben wir, dass z.B. beim Asperger-Syndrom die Prosopagnosie eines der Symptome sein kann. Somit gibt es sicherlich auch eine syndromale Form der Prosopagnosie.


    Wir stehen gerne für Fragen zur Verfügung und verweisen auf unsere Spezialambulanz sowie auf weitere Informationen unter:


    Prof. Dr. med. Ingo Kennerknecht
    Vesaliusweg 12-14
    48149 Münster
    Tel. 0251-8355412
    Fax 0251-8355393